wandsbektransformance-Ausstellungserööfnung

 

Zur Ausstellungseröffnung am 03.03.08 im Kunsthaus Hamburg:

Rede von Belinda Grace Gardner, Kunstkritikerin

Photo: Stilla Seis

 

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jokinen, liebe Künstlerinnen und Künstler, lieber Claus Mewes, liebe Freundinnen und Freunde!

 

Wir werden ständig von Bildern bombardiert, haben aber die Fähigkeit verloren, sie zu sehen", sagt der chilenische Künstler und Documenta-11-Teilnehmer Alfredo Jaar.

Gegen diese Seh-Störung setzt er sich seit Jahren ein.

 

Ob er gegen das Wegschauen der Weltöffentlichkeit angesichts des Völkermords in Ruanda eintritt oder gegen die machtgesteuerte Informationspolitik des Westens: In seiner dezidiert politischen Kunst sucht er, Bedeutung und Energie der Bilder in den Köpfen der Betrachtenden zu reaktivieren.

 

Dass diese Strategie ästhetischer Ein- und Aufmischung heute wichtiger ist denn je, deckt sich nicht unbedingt mit den aktuellen Trends - westlicher - Kunstpraxis. Trotz Kriegsgewalt und Terror, Massenarmut und weltweiter Krisen, erleben wir im Westen momentan ein eigenartiges Vakuum des politischen Engagements in der Kunst.

 

Gesellschaftskritische Fragestellungen werden gern als sperrig, humorlos oder gar 'unsinnlich' abgetan. Oder in außereuropäischen Problemzonen verhandelt. Beispiel: Santiago Sierra, dessen Kapitalismus- und Ausbeutungskritik so richtig erst in Mexico City entflammte.

 

Andere Ansätze verpuffen in unverbindlichen Remix-Verfahren, die zwar gängige Geschichtsschreibung vorgeblich hinterfragen und aushebeln - allerdings oftmals ohne Stellung zu beziehen.

 

Mit ihrem interaktiven Gruppen-Projekt - wandsbektransformance - widersetzt sich die in Finnland geborene, in Hamburg agierende Künstlerin Jokinen gegenwärtiger Muster ästhetischer Selbstbespiegelung und Positionslosigkeit. Das zweiteilige Projekt, das vergangenen September in öffentlichen Räumen des Hamburger Stadtteils Wandsbek startete, basiert grundsätzlich auf der Prämisse der Blick erweiternden Kraft der Kunst. Und auf dem politischen Potenzial, das künstlerische Eingriffe und Störungen freizusetzen vermögen.

 

Das von den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern beschrittene Terrain ist ein buchstäblich Verschüttetes gewesen: Durch symbolische 'Ausgrabungen' und konkrete Veranschaulichungen verdeckter Wirklichkeiten haben sie ein Stück verdrängte und verschattete Geschichte in den kollektiven Blick gerückt. Und damit die Gegenwart der kolonialen Vergangenheit und ihrer Schrecken im lokalen Bezugssystem überhaupt erst wieder sichtbar gemacht.

 

Ein ganz wesentlicher Faktor dieser künstlerischen Sichtbarmachung lag in der unmittelbaren Einbeziehung der Rezipienten. Ganz im Sinne der anfangs erwähnten Strategie von Alfredo Jaar, sind diese durch die künstlerischen Zeichensetzungen im öffentlichen Raum gefordert gewesen, sich eigene Bilder zu machen und sich der verborgenen Geschichten hinter den alltäglichen Erscheinungen selbst bewusst zu werden.

 

Die jetzige Ausstellung im Kunsthaus Hamburg versetzt die künstlerischen Interventionen und temporären Manifestationen von der öffentlichen Sphäre der Straße in die des musealen Raums.

 

Doch auch hier sind die Aktivitäten der 'wandsbektransformance' nicht stillgelegt. Sondern setzen sich auf verschiedenen Ebenen fort. Besucherinnen und Besucher können sich erneut einbringen: etwa beim Ausmalen der Skizzen von Judith Haman, die sich unter anderem mit der offiziellen Wandsbeker Schimmelmann-Büste und der damit einhergehenden - höchst fragwürdigen - Denkmalkultur befasst hat.

 

Oder bei der 'Wissmann-Klappe' von Jokinen, einer mobilen Sammelstelle für Gedanken, Bilder und Objekte zum problematischen Umgang mit dem kolonialen Erbe, am markanten Beispiel des Monuments für den Reichskommissar und Gouverneur der einstigen Kolonie "Deutsch-Ostafrika" Hermann von Wissmann, nach dem noch heute etliche Straßen benannt sind, auch in Wandsbek.

 

Eindrücke von dort hat die Hamburger Videokünstlerin Doro Carl filmisch verdichtet, während die Hamburger Gruppe Offene Kartierung das postkoloniale Wandsbek durch die Generierung ungewohnter Assoziationsräume und Blickachsen sichtbar gemacht hat: Das Publikum kann diesen Wegen nun virtuell - im Geiste - nachgehen.

 

Entsprechend der 'transformativen' Praxis des Projekts, wurden die Arbeiten von 'wandsbektransformance' für die jetzige Präsentation weiterentwickelt und verwandelt.

 

Die Spuren der städtischen Außenräume sind ihnen bisweilen eingeschrieben, wie etwa dem dreißig Meter langen, blutroten Band der Erinnerung von Ilka Vogler, das den Ausstellungsraum nun optisch durchschneidet. Grashalme und Straßenstaub haben sich in den Worten festgesetzt. Ebenso wie in der von Claudia Behling in Gläsern aufbereiteten Spur aus Kaffee und Zucker, die die Künstlerin im Zuge einer Performance auf der Schimmelmannstraße in Wandsbek hinterlassen hatte: Verweis auf die Ausbeutungsstrukturen in Zusammenhang mit den aus Übersee importierten 'Kolonialwaren'. Über den Geruchssinn werden diese nun wachgerufen.

 

Die ursprünglich im Wandsbeker Stadtraum verteilten Masken des ghanaischen Künstlers Joe Sam-Essandoh aus Recycling-Materialien in der Anmutung traditioneller afrikanischer Kultgegenstände treten jetzt als geballtes Ensemble auf: Schutzgötter und Mahnende in einem. Dazu haben die Künstler-Brüder Mark und Matvey Slavin aus St. Petersburg eine Stätte des Gedenkens geschaffen: Die Stricke, die über dunklem Wasser von der Decke hängen, evozieren die Bootstaue auf den Sklavenschiffen ebenso wie die Fesseln der darin transportierten Passagiere.

 

Joe Sam-Essandoh zeigt zudem zwei neu entstandene Siebdruckbilder, in denen Bauten und Insignien des deutschen Sklavenhandels in seiner Heimat Ghana festgehalten sind. Und schlägt damit noch einmal eine überzeitliche, geografisch-politische Brücke zwischen damals und heute, hier und dort, Kolonialherren und Opfern europäischer Kolonialmacht.

 

Das unsichtbar Gewordene sichtbar machen, das Verdeckte freilegen, tote Winkel mit Leben füllen: Darin besteht die politisch brisante Dynamik des Projekts 'wandsbektransformance', das jetzt, in seinem 2. Teil im Kunsthaus Hamburg, dokumentierend und resümierend, aber auch immer wieder neu formulierend und - vor allem - Blick expandierend weiter wirkt.

 

In diesem Sinne wünsche ich den Rezipienten dieser Ausstellung intensive Blickerweiterungen und danke allen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!"

 

 

 

 

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