Einladung | Beteiligung

 

Die Wißmannklappe lud ein zum Hinterlassen von Denkmalstücken, Erlebnisberichten, Ideen und Skizzen, Bildern und Fundstücken, Gedanken und Zeichnungen, Texten und Träumen - nicht nur zum Denkmal

 

Samstag, 15.09.07 Dominikweg | Ecke Schimmelmannstraße

04.03. - 06.04.08 im Kunsthaus Hamburg in der Ausstellung wandsbektransformance

 

Mobile Sammelstelle, bewegte Skulptur, Ort des Gebrauchs und der Imagination

Wißmannklappe

Jokinen

 

 

Die Standfigur des Hamburger Wißmann-Denkmals wurde 1968 von Studenten gestürzt. Seither fehlen mehrere Stücke und Details am Denkmal.

Die in verschiedenen historischen Epochen gestürzten Denkmäler "wurden nicht bloß vandalistisch zertrümmert, sondern häufig kunstgerecht zerlegt, die Überreste nicht selten aufbewahrt oder sogar zur Erinnerung verteilt, insofern ihrerseits zu Denkmälern aufgewertet", schreibt Winfried Speitkamp über mitgenommene 'Trophäen' in seinem Buch 'Denkmalsturz'.1

 

 

Die Wißmannklappe funktioniert wie eine anonyme Abgabestelle für Erlebnisberichte und 'angeeignete' Denkmalstücke. Die Denkmal-Reste werden nicht gesammelt, um das Wißmann-Monument zu restaurieren, sondern um die fehlenden Stücke als eigenständige Objekte und Erinnerungsspuren auszustellen.

Aber sie ist noch viel mehr: sie ist eine weit aufgefasste Sammelstelle für Bilder, Ideen und Skizzen, für Poesie und Zeichnungen, Texte und Träume. Wie ein Schrein ist sie ein Ort des Gebrauchs und der Imagination. Dort können im schwarzsamtenen Aufnahmebehälter alle Gedanken und Gegenstände zum Kolonialen hinterlassen werden. Klappe auf, hineinwerfen, Klappe zu.

 

 

Die Wißmannklappe ist skulptural und innen bebildert. Sie ist mobil und kann überall eingesetzt werden, wo Menschen zum Hinterlassen von Ideen, Fundstücken und Dokumenten eingeladen werden können. Die hinterlassenen Stücke und Botschaften im Rahmen von wandsbektransformance wurden in der Ausstellung im Kunsthaus 4.3.-6.4.2008 ausgestellt.

 

 

Das 1967/1968 von Studenten gestürzte Hamburger Wißmann-Denkmal liegt im Keller der Sternwarte Hamburg-Bergedorf. An seinem wechselhaften Schicksal und seiner spurenübersäten geschichtlichen Haut lässt sich beispielhaft (post)koloniale Mentalitätsgeschichte ablesen. Das mehrfach transportierte und gestürzte Denkmal ist arg mitgenommen: Die Sockelfigur stützt seine bronzene Hand auf einem preussischen Säbel, der nicht mehr vorhanden ist; der Löwe vermisst seine eherne Schwanzspitze, der afrikanische Askarisoldat hat die Klinge seines Feldmessers verloren und am Ende der Fahnenstange klafft ein Loch. Es ist zu vermuten, dass hie und da in Hamburger Haushalten Denkmalreste zu finden sind, die als 'Trophäen' mitgenommen wurden.

Und die kakteenähnliche Pflanze aus Bronze am Sockel fehlt schon seit der Errichtung des Denkmals 1922 vor der Universität Hamburg.

 

v.l.n.r.: das Wißmann-Denkmal stand 1909-1918 in Daressalam, im damaligen 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tanzania). Nach dem Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg wurde es via London nach Hamburg verschifft und 1922 vor der Universität Hamburg (hervorgegangen aus dem Kolonialinstitut) errichtet. 1967 (Bild) und 1968 stürzten Studenten das Kolonial-Monument, und es lagerte sodann fast 40 Jahre im Keller der Sternwarte Bergedorf, bis es im Rahmen des Projekts afrika-hamburg.de für 14 Monate als Debattenmahnmal aufgestellt, umgedeutet und im Internet zur Diskussion gestellt wurde.

 

Hermann von Wißmann (1853-1905) war preußischer Offizier, Afrikareisender, Reichskommissar und schließlich Kolonialgouverneur in 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tanzania).

Bei seinen Zeitgenossen in Ostafrika und Deutschland war Wißmann umstritten. Bei sog. 'Strafexpeditionen' in der Kolonie praktizierte er mit seiner 'Wißmanntruppe' die 'Politik der verbrannten Erde': plündernd und brandschatzend zog er durch afrikanische Dörfer. Prügel- und Todesstrafe waren an der Tagesordnung.

Nach seinem Tod und insbesondere in der Nazizeit wurde Wißmann zum Kolonialheld mythifiziert und hochstilisiert. Die sog. 'Kolonialbewegung' brauchte für die erneut aufflackernden Kolonialbegehrlichkeiten eine mediale Leitfigur. Sein Denkmal vor der Universität Hamburg wurde zur wichtigsten Kolonialweihestätte Deutschlands.

Das intervenierende und erforschende Projekt afrika-hamburg.de hat 2004/2005 das Hamburger Wißmann-Denkmal zum Debattenmahnmal umgedeutet.

mehr > www.afrika-hamburg.de

In Deutschland gibt es 20 Straßen, die die umstrittene Person Hermann von Wißmann noch heute ehren. Auch in Wandsbek-Marienthal befindet sich eine Straße, die erst 1950 nach Wißmann benannt wurde. In einigen Städten wurden die Wißmannstraßen umbenannt: in Bochum (1998), und in der DDR-Zeit in Erfurt und Leipzig (1950) und in Frankfurt/Oder (1965). Mit der Veranstaltungsreihe 'Die Wißmannstraße. Öffentliche Erinnerung auf der Probe' stellt die Werkstatt der Kulturen in Berlin - in der Wißmannstraße gelegen - eine Straßenumbenennung aktuell zur öffentlichen Diskussion.

 

Standort der Wißmannklappe am 15.9.2007 bei den wandsbektransformance-Stadtteilaktionen:

Dominikweg / Ecke Schimmelmannstraße

s. Stadtplan Wandsbek

Kunsthaus Hamburg im Rahmen der Ausstellung wandsbektransformance

4.3.-6.4.2008

Flugblatt zur Wißmannklappe

s. auch Installation 'Wißmannstraße, vorübergehend' von Jokinen im Rahmen von wandsbektransformance

 

1) Winfried Speitkamp (Hg.): Denkmalsturz: zur Konfliktgeschichte politischer Symbolik, Göttingen 1997, S. 18

 

 

Links:

Zum Denkmal und zur Biographie Hermann von Wißmanns

www.afrika-hamburg.de/denkmalbiografie.html

Zum Prozess der Umbenennung der Wißmannstraße in Berlin

www.werkstatt-der-kulturen.de/219.html

 

 

Jokinen

geboren in Helsinki, Studium in Zürich und Hamburg. Bildende Künstlerin, Kuratorin, Übersetzerin. Ausstellungen in Deutschland, England, den USA, Polen, Ungarn, u.a. afrika-hamburg.de, Sehnsuchtsformeln, Hybridenmuseum; Kunst im öffentlichen Raum, Webkunst, partizipative Projekte; Forschung, Publikation, Gutachten für Kunstprojekte.

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