in Wandsbek

 

Installation Samstag, 15.09. bis Sonntag, 16.09.07 ganztägig

Wißmannstraße|Ecke Holstenhofweg in Wandsbek-Mariental (s. Stadtplan Wandsbek)

Diskussionsforum: Donnerstag, 27.3.2008 im Rahmen der wandsbektransformance-Ausstellung im Kunsthaus Hamburg

 

Wißmannstraße, vorübergehend

Jokinen

 

Wie in den meisten deutschen Städten, ehren auch in ganz Hamburg Straßennamen koloniale Persönlichkeiten und erinnern an 'Schutztruppen'offiziere, Afrikareisende, Kaufmänner und Kolonialwarenproduktion.

Die Installation 'Wißmannstraße, vorübergehend' besteht aus sieben weißen, am Schildmast der Wißmannstraße befestigten Plaketten mit Texten.

Mit einem Diskussionsforum während der wandsbektransformance-Ausstellung stellt das Projekt die kolonialen Straßennamen Hamburgs zur Debatte.

 

 

Hermann von Wissmann (1853-1905), preussischer Offizier, Afrikareisender, Reichskommissar und Kolonialgouverneur in 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tansania, Ruanda, Burundi). Plündernd und brandschatzend zog er mit seiner 'Wissmanntruppe' durch afrikanische Dörfer und praktizierte damit die 'Politik der verbrannten Erde'. Prügel- und Todesstrafe waren unter seiner Ägide an der Tagesordnung. Schon von seinen Zeitgenossen kritisiert, ist die Person Wissmann bis heute umstritten. (mehr zur Person -> Hermann von Wißmann)

 

 

'Wißmannstraße, vorübergehend' will einen ersten Impuls geben für eine öffentliche Debatte über die Wißmannstraße im besonderen und über koloniale Straßennamen in Hamburg im allgemeinen. Sollen umstrittene Straßen umbenannt werden? Sind solche Zeichen im Stadtbild nicht ein Affront gegen Menschen, die hier leben und die aus Ländern kommen, in denen die Kolonialzeit in schmerzhafter Erinnerung geblieben ist? Oder gehen mit Umbenennungen nicht auch Spuren eines Kapitels Hamburgischer Geschichte verloren, das ohnehin weitgehend verdrängt und vergessen ist? Sollen diese Straßen also kritisch kommentiert werden, um auch die Hintergründe sichtbar zu machen, die zu ihrer Benennung führten?

 

 

Zur Wandsbeker Wißmannstraße teilt das Statistische Amt für Hamburg als Benennungsmotiv schlicht folgendes mit: "nach Hermann von Wißmann (geb. 4.9.1853 in Frankfurt/Oder, gest. 15.6.1905 in Weißenbach (Steiermark), Afrikaforscher, Gouverneur von Deutsch-Ostafrika von 1895-1986."

 

 

Nach Angaben des Staatsarchivs hieß die Hamburger Wißmannstraße zuvor Wrangelstraße. Nach Wißmann wurde sie am 25.7.1950 amtlich benannt. Der Grund für die Umbenennung waren wahrscheinlich die Doppelbenennungen, die seit dem Groß-Hamburg-Gesetz 1938 vorlagen und die in den 1950er Jahren zur Abwehr von Verwechslungsgefahren noch weiter bereinigt wurden. Welche Interessenvertretung noch 1950 gerade diese Namensnennung durchgesetzt hat, sei - so das Staatsarchiv - nicht mehr zu ermitteln.

Neben der Hamburger Wißmannstraße gibt es in Deutschland 20 andere Wißmannstraßen und in Zürich eine. In der DDR-Zeit wurden die Wißmannstraßen umbenannt in Erfurt und Leipzig (1950) und in Frankfurt/Oder (1965). Die öffentliche Debatte in Bochum dauerte acht Jahre und führte 1998 zur Umbenennung. Unter dem Titel 'Die Wissmannstraße. Öffentliche Erinnerung auf der Probe' lädt die Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln aktuell zu Veranstaltungen zur Umbenennung ein.

 

 

In Hamburg sind in Hafennähe kleine weiße Tafeln für historische Begebenheiten unter den Straßennamenschildern angebracht - eine solche Plakette dauerhaft anzubringen, wird auch für die Wandsbeker Wißmannstraße vorgeschlagen.

 

 

Die temporäre Installation 'Wißmannstraße, vorübergehend' will diesen Diskurs in Gang setzen. AkteurInnen und WissenschaftlerInnen, die sich mit der historischen Figur Wißmann befaßt haben, wurden eingeladen, Textvorschläge zu formulieren. Dabei ging es um Fragen wie: Wer war Hermann von Wißmann? Wie können seine Person und sein Vita charakterisiert werden? Wie war seine historische Bedeutung? Wie sehen wir ihn heute?

Die Mehrstimmigkeit bringt zum Ausdruck, wie komplex der Prozess um die Formulierung eines dauerhaft zu installierenden Plakettentextes vor Ort sein kann. Gerade solche Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Meinungen und Beteiligten sind jedoch für das historische Verständnis unabdingbar.

Am 15.9. und 16.9.07 wurden am Schildmast der Wißmannstraße sieben weiße Plaketten mit den eingereichten Texten befestigt. Die Straßeninstallation wurde im Rahmen der wandsbektransformance-Ausstellung im Kunstraum transformiert und präsentiert. Ein Diskussionsforum mit ExpertInnen, AktivistInnen und BezirkspolitikerInnen und filmische Interviews mit den AnwohnerInnen der Wißmannstraße luden zur weiteren Debatte ein.

 

 

 

 

Koloniale Straßennamen in Wandsbek

 

In Wandsbek finden sich weitere Straßennamen, die an die Kolonialzeit erinnern:

  • Dominikweg, benannt nach Hans Dominik, dem Kolonialoffizier und 'Schreckensherrscher von Kamerun'

  • Helbingtwiete für den Kaufmann Heinrich Helbing, der 'Helbings Germania-Spirits' und andere Schnapssorten nach Afrika exportierte. Auch andere Kolonialkaufmänner, allen voran Adolph Woermann, brachten massenweise Schnaps und Destillen in die Kolonien. Die Folgen der Alkoholkrankheit unter den Kolonisierten waren verheerend (mehr zu den Kontroversen über Schnapsexporte nach Afrika).

  • Neumann-Reichardt-Straße, erinnernd an die Kakao-Compagnie Theodor Reichardt, seinerzeit den größten Schokoladenproduzenten Deutschlands. Auf den Kakaoplantagen am Kamerunberg mussten AfrikanerInnen unter erbärmlichen Bedingungen schuften.

  • Trauns Allee nach Heinrich Traun, der mit dem Unternehmer H.C. Meyer in Hamburg und Harburg zum größten Importeur und Fabrikant für Kautschuk und Elfenbein wurde.

  • vier Straßen für den Sklavenhändler und -halter Heinrich Carl Schimmelmann: Schimmelmannstraße, Schimmelmannallee, Schimmelmannstieg, Schatzmeisterstraße

  • Kattunbleiche, die an Schimmelmanns Baumwollproduktion erinnert. Mit dem sog. 'Negertuch' kaufte Schimmelmann in Afrika Sklaven, die er in die Karibik verschiffen und dort auf seinen Baumwollplantagen arbeiten ließ (transatlantischer Dreieckshandel). Wandsbeks Wohlstand begründete sich hauptsächlich aus den Gewinnen, die Schimmelmann aus Sklavenarbeitskraft und aus dem Handel mit Baumwolle und Zucker(rohr) erwirtschaftete.

 

Mit Sicherheit sind noch nicht alle Wandsbeker Straßennamen auf ihren kolonialen Hintergrund hin untersucht worden.

Mehr zu Hamburgs Kolonialkaufmännern: global players

Siehe auch: mobile Sammelstelle, bewegte Skulptur, Ort des Gebrauchs und der Imagination 'Wißmannklappe'

 

 

Weiterführende Literatur:

Heiko Möhle: Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika - eine Spurensuche in Hamburg, Hamburg 1999

Joachim Zeller: Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewusstsein. Eine Untersuchung der kolonialdeutschen Erinnerungskultur, Berlin 1999

 

 

Links:

Zur Biographie Hermann von Wißmanns

www.afrika-hamburg.de/biografie1.html

Thomas Morlang: "Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen."

Der umstrittene 'Kolonialheld' Hermann von Wissmann

www.afrika-hamburg.de/morlang.html

über Hamburgische Kolonialkaufmänner

www.afrika-hamburg.de/globalplayers1.html

Die Wißmannstraße. Öffentliche Erinnerung auf der Probe.

Zum Prozess der Umbenennung der Wißmannstraße in Berlin

www.werkstatt-der-kulturen.de/219.html

Umbenennungen von kolonialen Straßennamen in Hannover

Initiative der Universität Hannover

www.hist.uni-hannover.de/~rost/strassen_umbenennungen.html

Umbenennungen von kolonialen Straßennamen in München

Initiative der Grünen - Rosa Liste

www.sigi-benker.de/texte/eine_welt/kolonialswa.html

'Kolonie', Videoloop von Julian Rohrhuber über das sog. 'Kolonialviertel' in München

Jokinen

geboren in Helsinki, Studium in Zürich und Hamburg. Bildende Künstlerin, Kuratorin, Übersetzerin. Ausstellungen in Deutschland, England, den USA, Polen, Ungarn, u.a. afrika-hamburg.de, Sehnsuchtformeln, Hybridenmuseum; Kunst im öffentlichen Raum, Webkunst, partizipative Projekte; Forschung, Publikation, Gutachten für Kunstprojekte.

 

 

 

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